Helmut Heißenbüttel:
Versuch über Bilder von Monika Breustedt zu reden

Wollte man Künstler, die in der heutigen Zeit Bilder machen, in Gruppen oder Grundtypen einteilen, so könnte man sagen, es gibt solche, die vor allem malen, solche, die vor allem zeichnen und solche, die nichteigenes Bildmaterial benutzen, also Collagen oder Montagen machen. Ein typischer Zeichner ist zum Beispiel Horst Janssen. Es gibt auch Künstler, in deren Werk nicht ein solches eindeutiges Schwergewicht zu erkennen ist, sondern eher ein sowohl-als auch, das eine wie das andere. Monika Breustedt zum Beispiel würde ich eher in eine solche Zwischengruppe einordnen. Sie malt und zeichnet. Aber es ist nicht so, daß entweder das Malerische oder das Zeichnerische den Vorrang hat, es dringt auch nicht eins in das andere ein oder überlagert eins das andere, sondern Zeichnung und Malerei erscheinen durchaus getrennt und als unterscheidbare Medien.

Dies vorausgesetzt, wäre nun zu fragen, ob das einfach so festzustellen ist, ob das an der beschreibbaren Verbindung von Bildgegenstand und Bildmethode herauszulesen ist oder ob es da andere Kriterien gibt. Auf den ersten Blick könnte man vielleicht feststellen, daß die gemalten Bilder einen realistischeren Eindruck machen. Aber ist das nicht eine Täuschung, bleibt man als Betrachter da nicht zu sehr an der Oberfläche? Was sind denn die Bildgegenstände, die Monika Breustedt zeigt? Landschaften und Stilleben, keine Figuren. Gibt es dabei eine bevorzugte Bindung des einen Gegenstandes an ein Medium? Eindeutig nicht. Es gibt gemalte und gezeichnete Landschaften und es gibt gezeichnete und gemalte Stilleben. Auch die Motive, zum Beispiel Bäume oder Birnen kommen auf beiden Seiten vor.

Aber bleibe ich einmal bei den Birnen, die ja sehr deutlich sind in diesem Werk. Wo liegt der Unterschied? Materialisieren sich die gezeichneten Birnen nicht eher wie aus einem Geflecht von Farbstiftstrichen? Gibt nicht dieses Geflecht der Striche weniger einen Gegenstand frei als daß der Gegenstand Anlaß scheint für das Eigenleben des Strichgeflechts? Erscheint nicht in der gemalten Birne der Gegenstand Birne mehr er selber als die farbige Modulation der Malweise? Man kann diese Fragen, so denke ich, nicht eindeutig mit ja oder nein beantworten. Denn blicke ich genauer hin, so erkenne ich, daß dennoch die gezeichnete Birne ihre ihr eigene Bildsubstanz besitzt und, umgekehrt, die gemalte Birne erst aus der diffizil abstufenden Pinselführung sich aufbaut. Was unterscheidbar ist, läßt sich offenbar nicht auf Grundverhältnisse zurückführen, sondern erscheint als ein unterschiedlicher Weg zum Bild.

Dieser Weg zum Bild ist nun nicht einfach eine Methode zur Sichtbarmachung von etwas, das auch außerhalb des Bildes als realer Gegenstand zu sehen ist. Man muß sich, denke ich, von der herkömmlichen Vorstellung freimachen, nach der da etwas real vorhanden ist, das dann so gut, so genau oder so stilistisch eigenständig wie möglich auf das Blatt oder auf die Leinwand übertragen wird, Kriterien dabei: Erkennbarkeit oder Originalität, Erkennbarkeit und Originalität. Das kann ja inzwischen die Fotografie wirklich besser, und auch die ist im Grunde bereits darüber hinaus. Sondern das, was aufs Blatt oder auf die Leinwand kommt, ist etwas, das sich im Sehzentrum des Malenden oder Zeichnenden vom sogenannten Gegenstand festgesetzt hat. Diese Festsetzung aber nimmt bereits etwas von dem Prozeß, dem sich am Ende das ästhetische Produkt, das Bild, verdankt, voraus.

Der Maler oder Zeichner sieht zum Beispiel etwas in den Gegenstand hinein. Wenn ich bei der Birne bleibe, so könnte ich sagen, daß eine solche Birne bestimmte Analogien zu menschlichen Rumpfformen hat. Das Hineinsehen würde dabei in der Regel kein bewußter oder gar geplanter Akt sein, sondern ein Vorgang, der aus dem mehr unbewußten Vorrat an Bildern, Bildüberlagerungen, Bildvermischungen hervorsteigt. Es könnte aber ebenso sein, daß der innere Blick, wenn ich ihn einmal so nennen darf, gar nicht zuerst den Gegenstand sieht, sondern etwas Flächiges oder etwas Geflechtartiges, Formationen von Strichgruppen oder Strichkreuzungen, die sich dann verdichten in Richtung auf das, was das Auge gegenständlich sieht. Der Radierer und Zeichner Malte Sartorius hat einmal gesagt, es komme ihm vor allem auf die Strichlagen an, und da er mit der Lupe nahe an der Radierplatte arbeitet, hat er im Herstellungsprozeß zuerst und vor allem dieses Gewirr von Strichen vor Augen, erst dann Landschaft oder Stilleben.

Ich meine, daß man bei den Bildern von Monika Kokemüller-Breustedt nicht ganz so weit gehen kann. Eher ist etwas anderes erkennbar. Bei Zeichnungen gibt es immer wieder eine Tendenz zur Überschreitung der Grenzen des Bildgegenstandes. Bäume, Häuser, Landschaftsflächen werden im Strich nicht isoliert, sondern die Strichlage reicht gleichsam weiter als das, was sie darstellt. Dabei wird immer wieder die Eigenbewegung, ich möchte fast sagen, Eigenmächtigkeit des Strichs deutlich. Landschaft oder Stilleben werden im Medium des Strichs, auch der farbigen Modulation der Strichgeflechte eingetaucht wie in eine künstlerisches Temperament. Dieses Temperament scheint von einer gewissen Heftigkeit, das im Bild Gezeigte wird sozusagen eingetaucht in die Materialisation dieser ganz eigenen Heftigkeit. Während bei aller Differenzierung die Ölbilder den Gegenstand eher plastisch herausarbeiten und damit auch in sich isolieren und konzentrieren. Der Vorgang der Bildherstellung erscheint im gemalten Bild also auch als ein Akt der Sammlung. In diesem Akt wird jede Einzelheit wie etwas Stellvertretendes für das Bildganze.

Wenn ich so, als Betrachter, von meinem betrachtenden Eindringen in die Bilder überzugehen versuche in eine grobe Klassifizierung und Einordnung dieser Bilder, müßte ich, abgekürzt, feststellen, daß die gemalten Bilder den Eindruck einer Konzentration auf das innere Abbild, das, in das auch etwas hineingesehen worden ist, machen, während das gezeichnete Bild eher den Bildgegenstand einbettet in ein künstlerisches Temperament. Wo die Entscheidung zu welchem Prozeß stattfindet, darf, so bin ich überzeugt, nicht gefragt werden. Denn diese Frage würde in die Psychologie des Künstlers selbst, der Künstlerin Monika Breustedt in unserem Fall, hineinführen, und nicht diese spielt eine Rolle für die Aufnahme des Bildes, sondern die Hypothese über den Prozeß der Herstellung und dessen Ergebnis.

Wenn ich so rede, rede ich über etwas, das mir vor den Bildern von Monika Breustedt aufgefallen ist, was mich darin zum Nachdenken und Formulieren angeregt hat. Aber was ich so rede, ist ein Entwurf. Ich kann mich irren. Jeder andere Betrachter kann es anders sehn. Zugleich will ich nicht Widerspruch erregen. Der Entwurf, den ich versuche, soll hinweisen. Diesem Hinweis können vielleicht andere Betrachter nachgehen. Wenn sie mir folgen, können sie etwas entdecken, was ich übersehen habe. Aber sie dringen in die Bilder ein. Sie beschäftigen sich damit. Sie eignen sie sich an. Sie beginnen sie zu lesen. Was ich hier zu geben versucht habe, ist eine Leseanweisung für die Bilder von Monika Breustedt. Auch wer sie verwirft, und ich habe nichts dagegen, wird veranlasst zu lesen.

(anlässlich einer Austellungseröffnung im Italienischen Kulturinstitut Hamburg)

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